Warum der Glücksspielstaatsvertrag beim Internet Folklore ist
Edmund Stoiber, Ex-Ministerpräsident von Bayern und jetzt Beauftragter für Bürokratieabbau in Brüssel, war Hauptredner beim netzpolitischen Kongress der CSU in München. Mit einem süffisanten Unterton, so berichtet DIE WELT am 16. März, zitiert er Microsoft-Gründer Bill Gates, der Mitte der 1990er-Jahre bei ihm in der Münchner Staatskanzlei zu Gast war und damals über das Internet gesagt haben soll, das sei nur eine Modeerscheinung, das werde nichts. Stoiber aber hat es offensichtlich besser gewusst. Schon im Jahr 2000 berief er einen Internetbeirat ein und warb um den Sachverstand junger Unternehmer. Stoibers Fazit: „Das Internet gehört in die Mitte der Politik. Und in die Mitte der Gesellschaft.“ Applaus für Stoiber, der Bayern einst als Land von „Laptop und Lederhose“ beschrieben hat. Leider ist von dieser klugen und weitsichtigen Haltung noch nichts im Glücksspielstaatsvertrag angekommen. Auch der neue GlüStV 2012 wird – anders als bei Lotterien und Sportwetten – unverdrossen am Internetverbot für Kasino-Spiele festhalten, obwohl Kasino-Spiele und Online-Poker dort längst tonangebend sind.
Deutschland weist trotz des Verbots von Internet-Glücksspielen den zweitgrößten Markt für Online-Gambling in Europa auf (Grünbuch der EU-Kommission „On on-line gambling in the Internal Market“, S. 8). Dieser Markt entfällt zum größten Teil auf Kasino-Spiele und Poker, nicht auf Lotterien und Sportwetten (Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder, Evaluationsbericht GlüStV vom 01.09.2010, S. 89 f.). Von den rund zweitausend deutschsprachigen Webseiten mit Online-Glücksspielen entfallen lediglich 42 auf Lotterien und 80 auf Sportwetten, aber 213 auf Poker und 290 auf sonstige Kasino-Spiele (casinocity.com, Stand vom 05.04.2012). De facto erreicht der Markt mit Online-Kasino-Spielen (einschließlich Online-Poker) auf deutschsprachigen Webseiten einen Bruttospielertrag von 300 bis 600 Mio. Euro und ist damit längst „auf Augenhöhe“ mit den staatlich konzessionierten standortgebundenen Spielbanken (Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder, Evaluationsbericht GlüStV vom 01.09.2010, S. 89 f.).
Das Internet gehört in die Mitte der Politik. Und in die Mitte der Gesellschaft. Auch bei Kasino-Spielen mit Laptop und Smartpone. Internetverbot und Lederhose sind Folklore.